Wer sich auf
Stellenanzeigen verlässt, kann lange auf seinen Traumjob warten -
Profijäger ziehen die Guerillataktik vor
FRIEDEMANN
BECKER sitzt in seinem Berliner Büro, lauscht den Techno-Rhythmen aus
seinem Computer und ist zufrieden. Er hat seinen Traumjob gefunden. Ohne
Bewerbungsmappe, Passfoto und Lebenslauf. Die Musiksoftware-Firma Native
Instruments hat den 38-jährigen Physiker auch so genommen. Eine
Stellenausschreibung hatte es nie gegeben.
Beckers Trick: Er ging auf der Frankfurter Musikmesse von sich aus auf die
Firmenchefs zu unangemeldet, aber mit einem selbst gebauten
Synthesizer unterm Arm. Die ungewöhnliche Art des Entrees gefiel den
Musikproduzenten so gut, dass sie Bewerber vom Fleck weg engagierten.
Noch ein halbes Jahr zuvor hätte sich Friedemann Becker nicht träumen
lassen, an allen Dienstwegen vorbei den Job zu ergattern, den er immer
haben wollte. Beim Arbeitsamt galt der Mitt-dreißiger als schwer
vermittelbar: Zehn Jahre war es her, dass Becker als Physiker gearbeitet
hatte. Seitdem jobbte er als Übersetzer, versuchte sich als Messebauer.
Zuletzt war er Aushilfsfahrer bei der Post. "Bei dem Werdegang könnte
ich mich auch gleich selbst bewerben", frotzelte der
Arbeitsvermittler.
200 Bewerber und mehr auf eine ausgeschriebene Stelle sind keine
Seltenheit, und die Offerten werden immer rarer: Der Stellenindex des
Personal-dienstleisters Adecco zählt 160 000 Annoncen weniger als im
Vorjahr, Internet- Börsen wie Jobpilot verzeichnen Rückgänge bis zu 33
Prozent.
Das bekam auch Katja Steinbach zu spüren. Kübelweise schickte die 43-jährige
Politik- und PR-Beraterin Bewerbungen los und wunderte sich, dass sie
trotz ihrer Berufserfahrung nichts als Absagen erhielt. "Wer sich
blindlings auf alles bewirbt, kann die Mappe auch gleich in den Papierkorb
werfen", sagt die Düsseldorfer Personalberaterin Cornelia Riechers.
Der Grund: "Jedes Unternehmen hat seine stillen Job-Reserven. An die
muss man heran, und zwar gezielt."
Von den stillen Reserven weiß das Gros der Stellensucher nichts. Zwei von
drei Jobs gelangen gar nicht erst in die Kartei der Arbeitsämter oder in
die Zeitung, ermittelte das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung. 800 000 der insgesamt 1,2 Millionen offenen Stellen in
Deutschland werden schon vorher vergeben, unter der Hand.
Wer sie ergattern will, muss vorgehen wie ein Guerilla-Kämpfer: ins
Zentrum der Macht vordringen, Interna sammeln und gezielt zuschlagen. Wie
Stellensuche undercover funktioniert, haben Becker und Steinbach bei John
Webb gelernt. Der Karriereberater arbeitet nach der Methode des
US-Arbeitsforschers Richard N. Bolles, der schon 1970 die Tricks der
findigen Jobjagd offen gelegt hat.
In Seminaren an Universitäten und Bildungszentren bringt Webb seinen Schülern
das Gesetz der Guerilla-Suche bei: Wie komme ich an Jobs, die es offiziell
nicht gibt? "Vergessen Sie Zeitungsanzeigen und
Bewerbungsmappen", trichtert Webb den Teilnehmern ein. Wer bei der
Jobjagd die Nase vorn haben will, darf nicht warten, bis das richtige
Angebot irgendwann auf den Tisch flattert. Er muss selbst zum Trüffelschwein
in Sachen Traumjob werden.
Drei Fragen gilt es auf dem Weg zu lösen: Was will ich tun, wo will ich
es tun, und wie komme ich heran? Die Was-Frage klärten die Jobsucher
rasch. "Beraten, bewerten und Konflikte lösen sind wohl meine Stärken",
stellte Steinbach fest. Becker, der in seiner Freizeit am liebsten am
Computer komponiert, drängte es ins Musikgeschäft. Dann folgte der
schwierige Teil: passende Unternehmen herauspicken, Kontakte knüpfen,
Informationen sammeln. "Es geht darum, Leute kennen zu lernen, die
genau das tun, was man selbst gern täte", erklärt Webb. Sie sind
der wahre Türöffner zum verdeckten Stellenmarkt.
Der Karriereprofi verlangt das scheinbar Undenkbare: Er lässt jeden Schüler
zu sechs Firmen seiner Wahl gehen. Dort soll er Mitarbeiter zu ihrem Job
befragen unangemeldet. "Davor haben wir alle gebibbert",
erinnert sich Friedemann Becker. Jeder rechnete mit einem acht-kantigen
Rauswurf. Der vermeintliche Horrortrip entpuppte sich als geniales
Netz-Werkzeug. Mehr als 80 Prozent der "Überfallenen" erzählen
gern von ihrer Arbeit und nennen weitere Ansprechpartner, ist Webbs
Erfahrung.
Auch Becker wurde nicht enttäuscht: "Manche waren anfangs skeptisch,
doch jeder hat sich Zeit genommen. Ein Firmenchef sogar eine
Dreiviertelstunde, obwohl er einen Termin hatte." Beckers Trick: Er
hatte schon im Vorfeld via Internet und Tele-fonzentrale den für ihn
wichtigen Ansprechpartner ermittelt. "Man muss wissen, zu wem man
will. Sonst scheitert man schon am Pförtnerhäuschen." Der erste
Kontakt sei eine echte Hürde gewesen, erinnert sich der Physiker. Doch
als sie genommen war, lief es "wie beim Schneeballsystem":
Becker ließ sich von jedem Gesprächspartner drei weitere Kontakte
vermitteln.
"Das ist so gut wie eine Referenz." Katja Steinbach dehnte sogar
ihre Interview-Odyssee bis nach Stockholm und Den Haag aus. Das
"Wahnsinns-Netzwerk", das sie in über 60 Gesprächen aufbaute,
führte sie nicht nur zu ihrem Traumjob in einer Münchener
Unternehmensberatung. Es leistet ihr auch jetzt im Tagesgeschäft noch
wertvolle Dienste.
Eines jedoch hat sie in ihrer Jäger- und Sammlerphase immer vermieden:
sich als Stellensucher zu outen. "Bloß nicht ankommen und
fragen: Haben Sie vielleicht einen Job für mich? Da fallen sofort die
Schotten", warnt Steinbach. Interesse am Beruf genügt, um die
entscheidenden Leute auf sich aufmerksam zu machen. Und die sitzen meist
nicht in der Personalabteilung. "Wer den üblichen Bewerberweg geht,
scheitert hier zu-erst", weiß Berater Webb. Personaler entscheiden
zwar oft, wer die Stelle nicht bekommt, jedoch nie, wer sie am Ende dann
kriegt. Bei Webb lernen Jobjäger, wie man die Personalabteilung umgeht.
"Es macht wenig Sinn, sich bei Leuten zu bewerben, die nicht dazu
autorisiert sind, ja zu sagen. Die eigentlichen Entscheidungsträger sind
die operativ Verantwortlichen, die Manager vor Ort."
Abteilungsleiter, Teamchefs und deren Mitarbeiter sind der wahre Schlüssel
zum Traumjob. Sie wissen als Erste, wo Arbeitskräfte im Unternehmen
fehlen und wen sie brauchen. Lange bevor die Stelle in der Zeitung landet,
hören sie sich bei Kollegen und Geschäftspartnern nach geeigneten
Kandidaten um oder wählen gleich selbst einen aus. "In diesen
Entscheider-Pool muss man vordringen", rät der Karriereprofi.
"Der Rest läuft dann von selbst."
Der Erfolg gibt John Webbs Guerilla-Taktik recht: 86 Prozent seiner Schützlinge
haben binnen Jahresfrist ihren Wunsch-Job gefunden. "Einige schaffen
es sogar noch vor Ablauf des Seminars." Webbs Schulungen dauern
zweieinhalb Wochen. Friedemann Becker brauchte sechs Monate,
"und das auch nur, weil ich noch an meinem Synthesizer baute".
Die Investition hat sich gelohnt. Bei Native Instruments ist er inzwischen
zum Produktmanager eines neuen DJ-Programms aufgestiegen. Eine Stelle übrigens,
die es vorher nicht gegeben hat.
KIRSTEN ZIRKEL
@ Weitere Tipps zum Thema Jobsuche finden Sie unter www.dmeuro.com/arbeitsmarkt
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