"Was machst Du eigentlich danach? "Weiß ich noch nicht. Was soll
man mit dem Studium schon anfangen....?" Das sind Gespräche, wie sie
Studierende gegen Ende ihrer akademischen Ausbildung häufig führen. Während
einige wenige - etwa jene, die praxisnahe Studiengänge belegt haben
- sich an einem genau vorgezeichneten Berufsplan orientieren können,
rudert die Mehrheit im Ozean der tausend Möglichkeiten und Fragen: Erst
noch eine Weiterbildung machen? Oder ab ins Ausland? Oder lieber mit
etwas ganz anderem Geld verdienen? So gut ausgebildet man mit einem
Diplom bzw. Magister auch sein mag, wie man sich einen Job sucht, ist
selten Thema an deutschen Unis. Orientierungshilfe im Berufs-Dschungel
geben inzwischen vermehrt auch private Institutionen. Berufs- und
Karriereplaner setzen auf die Hilflosigkeit der Studierten. Eva Schmid,
selbst Personal- und Organisationsentwicklerin qua Weiterbildung, hat
mit dem amerikanischen Berufsberater und Trainer John Webb gesprochen.
Webb gilt als einer der profiliertesten Experten individueller
Lebenslaufplanung. In seinen Kursen zeigt er einen alternativen Weg auf,
sich Klarheit über seinen persönlichen Berufsweg zu verschaffen.
Herr Webb, Sie bieten eine Beratungsmethode zur Berufsorientierung
an...
Oh, ich zucke bei dem Begriff Beratungsmethode zusammen! Für viele
Menschen bedeutet Beratung, man kommt zu einem schlauen Experten, der
dann sagt, was man tun soll. Meine Arbeit funktioniert anders. Ich biete
eine Methodik an - sie heißt Life / Work Planning -, mit der man
selbst herausarbeitet, was man wirklich beruflich machen will. Zu keinem
Zeitpunkt wird vorgegeben, wofür der Suchende "geeignet" sein könnte.
Insofern ist es keine Beratung, sondern ein Planungsansatz, um das
eigene Berufsleben so zu gestalten, dass man sagen kann, "diese Arbeit
mache ich gerne; ich stehe dazu".
Können Sie ihre Methode in Abgrenzung zur "klassischen"
Berufsberatung mal ein wenig genauer beschreiben?
Designer-Profis sagen: "Der Zweck bestimmt die Form." Das L /
WP-Verfahren ist nicht zu dem Zwecke entworfen, dass einige Arbeitslose
schnell aus der Statistik wegkaschiert werden. Es ist auch nicht dafür
konzipiert worden, dass Arbeitgeber möglichst billige Mitarbeiter
bekommen. L / WP wurde allein dafür entwickelt, dass jeder
Arbeitsuchende für sich ein berufliches Leitbild entwickelt und
umsetzt. Hier steht der Arbeitsuchende im Mittelpunkt. Nicht der
Arbeitsmarkt. Sie kennen bestimmt diesen chinesischen Spruch: "Wenn
ein Mensch Hunger hat und du gibst ihm einen Fisch, dann hast Du seinen
Hunger für heute gestillt. Bringst du ihm jedoch das Angeln bei, dann
hat er nicht nur heute einen Fisch, sondern morgen und übermorgen
auch." Im Sinne dieses Spruchs ist "Stellen vermitteln" gleich
"Fische verteilen". Jobvermittlung - möge sie noch so Hartz-mäßig
beschleunigt sein - erzeugt letzten Endes Abhängigkeit von
demjenigen, der die Jobs vermittelt. Der Ratsuchende bekommt zwar eine
Stelle, aber er ist nachher kein bisschen klüger, wie Jobsuche
organisiert wird. Wir sollten uns nichts vormachen: Diejenigen, die
heute eine Stelle vermittelt bekommen, werden in ein paar Jahren wieder
suchen. Es muss zum Alltag der Berufsberatung gehören, dass Leute
lernen, für sich selbst zu suchen.
Es hat generell den Anschein, als achte man bei der Berufswahl
besonders auf die Außenwirkung und darauf, die Erwartungen von anderen
zu erfüllen? Gibt's diesbezüglich interkulturelle Differenzen?
Eigentlich nicht. In den Seminaren in Schweden, Holland, Frankreich,
der Schweiz, Amerika und Deutschland werden überall die gleichen Fragen
gestellt. Der große Unterschied hier ist nur die überwältigende Ungläubigkeit,
die Deutsche der Idee entgegenbringen, man könne für sich selbst etwas
am Arbeitsmarkt bewegen. Deutsche haben einen fast unerschütterlichen
Glauben an das Prinzip Ordnung. Man hat erst einmal eine ordentliche
Schullaufbahn zu absolvieren. Dann hat man sich ordentlich zu bewerben.
Dann lässt man sich ordentlich einstellen, um ordentlich Kohle zu
verdienen. Bei einigen klappt diese Strategie hervorragend. Aber eben
nur bei einigen. Die Realität bei vielen sieht anders aus, denn der größte
Teil der Arbeitswelt ist ganz und gar nicht ordentlich. Auch die meisten
Unternehmen stellen nur teilweise "ordentlich" ein. Zwischen 2/3 und
3/4 aller Stellen werden nie ausgeschrieben, d. h. man könnte
monatelang ununterbrochen Anzeigen wälzen, ohne zu wissen, wie viele
Stellen es tatsächlich gibt. Es ist daher eher normal als Student zunächst
orientierungslos zu sein. Wie könnte es anders sein? Nirgends in der
Schule kriegt man diese Dinge zu hören. Keine Schule zeigt den
Jugendlichen, wie sie die relevanten Teile des Arbeitsmarkts für sich
empirisch untersuchen können. Die Lehrer und die Arbeitsamtsmenschen
sind zwar formell für solche Aufgaben zuständig, aber das sind Beamte.
Sie haben solche Marktuntersuchungen noch nie, nicht mal für sich
selbst, durchgeführt. Wie sollten sie dann so etwas den Heranwachsenden
beibringen können?
Und bei Ihnen wird der Arbeitsuchende dann zum Detektiv, der nach
seiner idealen Stelle fahndet?
Genau. Es gibt sehr effektive Methoden, schnell und mit wenig
Kostenaufwand für sich empirisch zu untersuchen, ob die eigenen
Vorstellungen umsetzbar sind oder nicht. L / WP beinhaltet eine sehr
genaue Recherche über die "noch nicht ausgeschriebene Stelle", die
der Arbeitsuchende für sich definiert hat. Hier übernimmt der Suchende
Aufgaben, die nach traditionellem Denken eher dem Arbeitgeber
zugeschrieben werden. Als Suchender erforscht er nämlich, wie durch
seine Einstellung Kosten eingespart oder mehr Umsatz gemacht werden
kann. Für viele Arbeitnehmer ist die engagierte Auseinandersetzung mit
dem Unternehmen vorab ein sehr hilfreiches Einstellungsargument.
Gibt es geschlechterspezifische Unterschiede in der Herangehensweise?
Es ist eindeutig, dass sich Frauen mit dieser Art der Stellensuche
leichter tun. L/WP sieht vor, dass jede Person einen Plan aufstellt,
wie und was sie gerne arbeiten will. Dann zieht man los, um mit Berufstätigen,
die in dem gewünschten Arbeitsfeld aktiv sind, Informationsgespräche
zu führen. Bei diesen Gesprächen geht es nicht darum, den Gesprächspartner
zu beeindrucken oder zu fachsimpeln, sondern vielmehr darum, sich
Informationen über das Tätigkeitsfeld einzuholen. Männer reagieren häufig
so (die Stimme wird dunkler): "Das kann ich doch nicht machen! Ich
stehle denen ja die Zeit! Und habe nichts zu bieten! Ich muss doch erst
einmal zeigen, was ich kann..." Dieses Denken ist natürlich sehr
hinderlich. Manchmal müssen Männer erst einmal mit einer Frau
"mitlaufen", um zu sehen, wie sie das macht.
Gibt es auch hoffnungslose Fälle?
Es gibt Personen, die es große Überwindung kostet, etwas für sich
selbst zu tun. Diese Personen sind in solchen Seminaren fehl am Platz.
Es gibt auch Leute, die erwarten, dass mit Ihnen etwas "gemacht"
wird. Das Verfahren macht aber nichts für mich, sondern bietet mir nur
Strukturen an, wie ich für mich selbst Klarheit schaffe.
Nehmen wir an, meine Oma wollte Fotomodell werden. Was würden Sie
ihr sagen?
(lacht) Well... das könnte ein längeres Gespräch werden. Aber kurz
gesagt: Keiner von uns weiß wirklich, was es "da draußen" auf dem
Arbeitsmarkt alles gibt. Und wenn dieser Ausgangsgedanke stimmt, dass
niemand weiß, was es alles gibt, dann ist es ziemlich arrogant zu
sagen, "das ist realistisch", oder "das nicht". Wenn ihre Oma
wirklich Fotomodell werden möchte, dann stehen die Chancen vielleicht
gar nicht so schlecht, dass sie das auch werden kann.
Gut zu wissen...
Sie und ich, wir glauben beide zu wissen, wie ein Fotomodell zu sein
hat. Und wenn wir eine Altersstatistik für Fotomodelle aufstellen würden,
wären die meisten auch tatsächlich zwischen 19 und 28 Jahre. Aber die
Welt ist immer facettenreicher, als wir sie uns denken. Und irgendwo
kann es wirklich einen Arbeitgeber geben, der - ich kenne Ihre Oma
nicht, aber ich gehe davon aus, daß sie klein, schrumpelig und alt ist
- der händeringend genau so ein Oma-Modell braucht. Ich will damit
sagen, wir suchen den Arbeitgeber, für den man so in Ordnung ist, wie
man ist. Auch dann, wenn man klein, schrumpelig und alt ist. Ich hoffe,
ihre Oma liest diese Zeitschrift nicht.
Ein paar Worte zu Ihnen - wie sind Sie zu ihrem Beruf, zu ihrem
Aufgabenbereich gekommen?
Ich habe diese Methodik 1968 in der Schule kennengelernt. In vielen
amerikanischen Bundesstaaten ist Life / Work Planning ein ein- oder
zweijähriges Pflichtfach in der Schule und sogar in der Verfassung
verankert. Ich hab es damals gehasst (lacht), denn eines der
fundamentalsten Prinzipien, nur mit Freiwilligen zu arbeiten, wurde
nicht gewährleistet. Erst mit 23 Jahren, als ich mein Studium
abgeschlossen hatte, habe ich freiwillig teilgenommen. Drei Monate später
bin ich nach Münster in Westfalen gekommen und habe die Methode hier fünf
mal für mich angewandt. Es hat jedes mal in wenigen Wochen geklappt.
Ich war dann zehn Jahre in der chemischen Industrie als
Personalentwickler tätig. Während dieser Zeit kamen viele Freunde,
Familienmitglieder und auch Kollegen zu mir, um Unterstützung bei
Bewerbungen zu bekommen. 1989 entschied ich dann, mich als Trainer für
L / WP selbständig zu machen. Die Ausbildung absolvierte ich bei
Richard Bolles persönlich, dem Urheber des L/WP-Verfahrens. Mark Twain
sagte einmal: "Meine eigene Bildung war mir viel zu wichtig, als dass
ich sie den Schulen hätte überlassen wollen". Den Spruch fand ich
immer schon gut.
Interview: Eva Schmid
Durchstarten in die Realität der Jobs
Das Buch "What Color is Your Parachute?" von Richard Nelson
Bolles ist in deutscher Bearbeitung erschienen. "Das
Bewerbungshandbuch für Ein-, Um- und Aufsteiger" (Campus, 21,50
Euro) bietet viele praktische Hinweise für die Suche nach freien
Stellen im verdeckten Arbeitsmarkt und informiert fundiert über
Vermittlungsagenturen, Stellenanzeigen und die Internet-Jobsuche im
deutschsprachigen Raum.
Seminare zum L/WP-Verfahren
John Webb bietet seine Seminare bundesweit an. Bei den Universitäten
Münster (Tel. 0251 / 8324762), Bremen (0421 / 2183409) und Hannover
(0511 / 7624036) und der Evangelischen Erwachsenenbildung NRW (02302 /
9100716) kann man sich Informationen holen. Unter www.lifeworkplanning.de
findet man allerhand Wissenswertes.
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