Entscheidungsfindung
für Berufsein- und umsteiger / Lernen, die eigenen Fähigkeiten zu
definieren / Von Georg Holzach
Wer
Jobsuche als Sport begreift oder, besser noch, als Jagdsport, der dreht
den Spieß um: nicht mehr der ängstlich lächelnde Bewerber sein, der
versucht, alles richtig zu machen, um zu gefallen; mehr sein als eine
Bewerbermappe, die mit den freundlichen Worten zurückkommt: "Ihre
Unterlagen senden wir Ihnen zu unserer Entlastung zurück und wünschen
Ihnen auf..." Nein. Der Job-Jäger verkehrt die Rollen. Nicht der
Arbeitgeber wählt den Bewerber. Sondern er, der Interessent, wählt die
Arbeit.
Dies
ist die Haltung, zu der das Buch des amerikanischen Autors Richard Bolles
"Durchstarten zum Traumjob" Anleitung gibt. Die Münchener
Therapeutin und Trainerin Madeleine Leitner hat das Buch übersetzt und
deutschen Verhältnissen angepaßt. Gemeinsam mit dem Karriereberater John
Webb hat sie daraus eine Methode abgeleitet, die sie in Seminaren unter
anderem auch an den Universitäten von Münster, Bremen und Hannover
unterrichten. Die Teilnehmer lernen dabei, deutlich zu sagen, was sie können
und wohin sie wollen.
Wie
die 31 Jahre alte Kunsttherapeutin Agnes Merckt, die durch ein Seminar von
John Webb ihren Berufsweg gefunden hat: "Ich hatte Angst, an eine
Stellensuche heranzugehen; ich wußte auch gar nicht, wie man das macht,
und ich hatte noch nicht rausgefunden, was ich wollte", berichtet
sie.
Was
jemand kann und was er will, ist nicht immer dasselbe, erklärt Madeleine
Leitner. Ein Interessent mag sehr wohl gut beherrschen, was er schon lange
nicht mehr tun mag, und im Gegenzug kaum Ahnung haben von einer Beschäftigung,
die ihn faszinieren würde. Er muß sich entscheiden, mit welchen seiner Fähigkeiten
er welches Ziel erreichen kann und will.
"Durchstarten
zum Traumjob" gibt dem Leser Anregungen, seine eigenen Fähigkeiten
zu definieren. "Ich bin Arzt" ist danach eine Aussage, die auf
eine Ausbildung, einen Abschluß, ein Berufsbild und einen Arbeitsmarkt
hinweist. Dagegen weist die Aussage "Ich bin Germanist" weniger
auf ein Berufsbild hin und noch weniger auf einen Arbeitsmarkt. Trotzdem
finden Germanisten Arbeit, genauso wie arbeitserfahrene Interessenten aus
wegrationalisierten Funktionen oder aufgelösten Unternehmen, wenn sie
sich selbst klar definieren.
Die
Anstrengung, sich selbst zu definieren, bevor man durchstartet zum
Traumjob, strukturiert Richard Bolles folgendermaßen: Zur eigenen
Definition sind übertragbare Fähigkeiten relevant. Sie beziehen sich auf
Menschen, Daten und Gegenstände. Anderen Menschen dienen, folgen, sich
mit ihnen verständigen sind Beispiele für einfache Fähigkeiten. Sie führen,
mit ihnen verhandeln und insbesondere sie beraten sind höhere Fähigkeiten.
Daten vergleichen und kopieren können viele. Sie analysieren, ordnen und
sinnvoll zusammenfügen ist eine hohe Kunst.
In
dem Kurs habe sie erst die ganze Bandbreite ihrer Fähigkeiten gesehen,
berichtet Agnes Merckt. "Ich habe herausgefunden, daß mich
beispielsweise Leute anrufen und um Hilfe bitten. Ich kann gut zuhören,
sie beraten, sie zum Lachen bringen und in Konflikten vermitteln."
John
Webb regt in seinen Seminaren dazu an, die eigenen Interessen zu
definieren, indem man zunächst auflistet, worüber man mit Freunden am
liebsten spricht, welche Artikel man in Zeitungen gerne liest, welche
Abteilung man in einer Buchhandlung üblicherweise ansteuert, welche
Seiten einen im Internet magisch anziehen oder bei welchen
Informationssendungen man im Fernsehen hängenbleibt. Themen, mit denen
man sich so gerne beschäftigt, daß man Zeit und Raum darüber vergißt,
sind Themen, mit denen man seine Arbeitszeit verbringen sollte, denn hier
entwickelt man die meiste Aufmerksamkeit, Kreativität und Beständigkeit,
erklärt Webb.
Wer
sich selbst genau definiert, kann Ansprechpartner in Unternehmen gezielter
fragen. So findet er schneller heraus, ob er dort seine Fähigkeiten
anbringen und dabei seine eigenen Wünsche bedienen kann. Denn es bringt
nichts, einen Job zu finden für jemanden, der man erst mal werden müßte.
Es bringt mehr, einen Job zu finden für den, der man ist. Wer sich über
seine Interessen klargeworden ist, sucht nach einem passenden Berufsbild.
Madeleine Leitner spricht von 33 000 möglichen Berufsbezeichnungen. Die
Auswahl ist beängstigend. Aber das Buch listet die wichtigsten
Berufsbilder nach unterschiedlichen Kriterien auf. Die Berufe mit der in
Zukunft wahrscheinlich größten Nachfrage entstammen einer Studie des
Instituts der Deutschen Wirtschaft. Aber auch Prestige, Verdienst und
Modetrends sind Kriterien für Top-Berufsbilder. Kunsttherapeuten wie
Agnes Merckt können viel, haben kein anerkanntes Berufsbild. Sie kommen
aber als Ergotherapeuten, Heilpädagogen oder Erzieher unter.
Der
Weg der Entscheidung führt von Fähigkeiten und Interessen über
Berufsbilder zu Unternehmen. John Webb hält es für wichtig, daß ein
Informationsgespräch mit Mitarbeitern eines Unternehmens kein
Bewerbungsgespräch ist. So lassen sich Kontakte frei von Spannungen und
Erwartungen knüpfen. Und diese Kontakte nützen früher oder später.
Denn die meisten Stellen werden nicht öffentlich ausgeschrieben, sondern
im Kreis der Bekannten, der Kollegen, der Partner vergeben. Sie bilden ein
Netzwerk. Es ist inoffiziell und wird durch persönliche Verbindungen
zusammengehalten, die Vertrauen schaffen. John Webb schickt seine Klienten
deshalb zu Vorträgen, Konferenzen oder Messen, die Interessen der
Klienten behandeln. Dabei ergeben sich viele entspannte informelle Gespräche,
die neue Kontakte, Informationen, Meinungen, Sichtweisen bringen und Übung.
Fremde ansprechen, sich vorstellen, Interesse an deren Arbeit begründen,
erklären, daß man sich verändern will, all das übt der Interessent bis
zur Routine.
Agnes
Merckt hat inzwischen in der Einzelförderung von schwerst-
mehrfachbehinderten Menschen gearbeitet, hat Selbsterfahrungsseminare
organisiert und komoderiert und bereitet sich heute auf die
Heilpraktikerprüfung vor. Unbedingt wollte sie dem ein Praktikum in der
Psychiatrie Bremen Ost hinzufügen. "Geht nicht", hörte sie.
Genommen würden nur Absolventen bestimmter Schulen oder Organisationen.
"Ich habe mit dem Personalrat telefoniert, mit der Station, mit dem
Arbeitsamt. Ich habe nicht lockergelassen und mich immer wieder
vorgestellt", berichtet sie. Am Ende wurde sie doch genommen.
"Ohne die Methode von John Webb hätte ich aufgegeben."
Seminare
von John Webb bieten die Universität Münster, Telefon 0251/832 4762, die
Universität Bremen, Telefon 0421/218 3409, und die Universität Hannover,
Telefon 0511/762 4036, sowie die Evangelische Erwachsenenbildung NRW,
Telefon 02302/9100-716, an. Madeleine Leitner informiert über ihre
Seminare im Internet unter www.karriere- management.de. Weitere
Datenbanken und Orientierungshilfen im Internet sind unter genios.de,
berufswahl.de, berufsbildung.de, forum-jobline.de, staufenbiel.de und
hoppenstedt.de zu finden. Das Buch "Durchstarten zum Traumjob"
ist unter der ISBN-Nummer 3-593-36294-5 im Campus-Verlag erschienen und
kostet 42 DM.
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