Der Amerikaner John C. Webb über den
verborgenen Arbeitsmarkt und systematische Methoden für die Jobsuche,
die schon in der Schule vermittelt werden sollten
Der Amerikaner John Carl Webb war der
erste, der in Deutschland Lebens- und Berufsplanungskurse nach dem
Ansatz des Amerikaners Richard Bolles angeboten hat. Dessen Buch "What
Colour is your Parachute?" gilt auch hier zu Lande als Standardwerk
im Bereich Life / Work-Planning.
Herr Webb, die Politik setzt auf Kombilöhne, Niedriglohnsektoren und
private Arbeitsvermittler. Wie beurteilen Sie die Chancen, die
Arbeitslosigkeit damit nachhaltig zu senken?
Das sind hervorragende Instrumente, wenn man nur eine kurzfristige Lösung
sucht. Längerfristig sehe ich da keine Chancen. Diese Instrumente
zielen nur darauf hin, möglichst viele Leute möglichst schnell aus der
Arbeitslosenstatistik verschwinden zu lassen. Das grundsätzliche
Problem: Die Leute in Deutschland wissen nicht wie sie systematisch
vorgehen können, um sich selber eine Stelle zu suchen. Private
Arbeitsvermittler gibt es in den USA seit etwa vierzig Jahren, und das
ist eine Branche, die oft einen Ruf genießt, wie hierzulande
Gebrauchtwagenhändler. Private Arbeitsvermittler können auch nicht
mehr tun als in Firmen anzurufen und zu fragen: "Haste mal'n
Job?" Es ist viel besser, der Stellensuchende macht sich selber auf
die Suche. Er ist der Experte in eigener Sache. Aber in Deutschland
wissen die meisten Leute nicht, wie man das anstellt.
Woran liegt das?
Die Deutschen glauben mehr an Experten als an sich selbst. Davon müssen
sie wegkommen. Die einzigen, die wirklich wissen, was sie gut können
und was sie voller Motivation tun, ohne dass sie jeden Tag zur Arbeit
getrietzt werden müssen, sind die Leute selbst. Wer weiß, wie er sich
selbstständig in Lohn und Brot bringen kann, braucht für den Rest des
Arbeitslebens keinen Vermittler mehr.
Wie kann man das lernen?
Für die meisten Leute in Deutschland ist es völlig neu, dass es
systematische Methoden gibt, wie man sich eigenständig eine Stelle
suchen kann. Aber das ist nichts Neues; es gibt diese Verfahren seit über
40 Jahren. Die müssen nicht erst entdeckt und erforscht werden. Das ist
alles schon vorhanden und erprobt. Aber diese Methoden müssten
institutionalisiert werden. Sie müssten in Schulen und
Weiterbildungseinrichtungen gelehrt werden. In den USA werden solche
Methoden bereits den Schulkindern vermittelt. Die haben danach nie auch
nur einen Zweifel daran, dass sie Arbeit finden können.
Arbeitgebern beklagen, dass viele Stellen unbesetzt bleiben, weil
geeignete Bewerber fehlen. Stimmt die Behauptung überhaupt, dass es in
Deutschland zu wenig Jobs gibt?
Wenn wir unter Jobs das verstehen, was im Stellenteil der Zeitungen
erscheint oder dem Arbeitsamt gemeldet wird, klar, dann sind es zu
wenig. Es ist eine Tatsache, dass weniger als ein Drittel aller Stellen
beim Arbeitsamt gemeldet sind, weniger ein Viertel aller Stellen
erscheinen irgendwo in der Zeitung. So stellt sich die Frage: Wie suchen
Leute nach einem Job? Wenn man unter "Arbeitssuche" das
Auswerten von Anzeigen versteht, mal beim Arbeitsamt vorbeischaut oder
Initiativbewerbungen an irgendwelche Personalabteilungen verschickt -
das funktioniert nicht besonders gut. Daraus ziehen die Leute den
Schluss, dass es zu wenig Jobs gibt.
Was raten Sie statt dessen?
Life / Work Planning zeigt Möglichkeiten auf, wie Stellensuchende sich
auf dem verborgenen Arbeitsmarkt auf die Suche machen können. Das sind
Stellen, die nirgends öffentlich ausgeschrieben aber dennoch vorhanden
sind. Das sind bis zu 75 Prozent aller Stellen.
Wie funktioniert diese Suche auf dem verborgenen Arbeitsmarkt?
Die Leute ein anderes Verständnis von Arbeit. Es geht nicht um diese
Einstellung von "Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps".
Da sehen Leute ihre Arbeit nur als notwendiges Übel. Viel vitaler ist
ein Arbeitsverständnis, bei dem die Leute von sich selbst ausgehen und
sich als Anbieter eines Produktes sehen: der eigenen Leistung, die einen
Wert hat und für die es ganz bestimmt Abnehmer gibt. Im Seminar klären
wir zunächst, welche Art von Arbeit der einzelne gerne machen würde
und in der seine individuellen Fähigkeiten zum Tragen kommen. Danach
geht es umeine andere Art der Arbeitssuche.
In welcher Hinsicht anders?
Schriftkram spielt bei dieser Art Arbeitsuche keine Rolle. Es werden
keine Zeugnisse und Lebensläufe durch die Gegend geschickt. Die Leute
gehen direkt in die Betriebe. Jeder muss für sich klären, welche Art
von Betrieb ihn interessiert und wie er in einen solchen Betrieb
hereinkommen kann? Und es steht die Frage an: Wie lerne ich Leute
kennen, die bereits machen, was ich anstrebe.
Und wie kommen die Leute zu einer Arbeit?
Durch Gespräche vor Ort können die Leute sehr schnell herausfinden, ob
sie in dem Betrieb gebraucht werden, ob sie da rein passen oder nicht.
Es ist es immer wieder erstaunlich, wie groß die Bereitschaft in den
Betrieben ist, Arbeitssuchenden behilflich zu sein. Ich habe es schon häufig
erlebt, dass sogar Stellen extra geschaffen wurden.
Das klingt zu schön um wahr zu sein.
Aber es ist doch nur natürlich, dass ein Unternehmer einem
Arbeitssuchenden eine Chance gibt, wenn er den Eindruck hat, dass er dafür
etwas Wertvolles erhält.
Klappt diese Jobsuche mit verändertem Arbeitsverständnis bei allen
Arbeitssuchenden?
Wenn den Leuten klar wird, dass Sie keinen festen Beruf haben, sondern
übertragbare Fähigkeiten, die sich in vielen Bereichen einsetzen
lassen, dann ergeben sich daraus viele von Möglichkeiten. Die Vielfalt
sehen viele Stellensuchende in Deutschland nicht. Sie sind zu stark auf
ein festes Berufsbild fixiert.
Ist das auch eine Frage der Mentalität?
Die Deutschen - vor allem die Jungen - haben eine ganz feste Vorstellung
von Ordnung. Man macht eine ordentliche Ausbildung und bewirbt sich bei
einem ordentlichen Unternehmen. Dort wird die Bewerbung von einer
ordentlich funktionierenden Personalabteilung bewertet und dann wird man
eingestellt und verdient ordentlich Geld. In Wirklichkeit aber ist der
größte Teil des Arbeitsmarktes ziemlich chaotisch. Die meisten
Betriebe wursteln sich irgendwie durch. Stellensuchende sollten diesen
größeren, weniger ordentlich funktionierenden Teil der Wirtschaft als
Betätigungsfeld unbedingt in Betracht ziehen. Dort werden Leute mit
gesundem Menschenverstand immer gebraucht.
Die Fragen stellte Henning Mielke. |